Der Himmel kann warten
... aber wir tun uns schwer damit, vor allem wenn es regnet. Die für uns schönste Tour auf dem Presten, die Himmelen kan vente, wird bei Regen zu einem Abenteuer auf Granit.

Himmelen kan vente

11.08.2019 - Laut Wetterbericht (3 verschiedenen!) soll das Wetter bis ca. 18:00 Uhr zwar bewölkt, aber ohne Regen bleiben. Beste Bedingungen zum Klettern einer langen und anstrengenden Tour. Wir stehen früh auf und machen uns auf den Weg zum Presten um die Tour Himmelen kan vente (dt. der Himmel kann warten, N6+, UK: E3 5c, 9 SL, Top 50) zu gehen. Diese Tour wird aufgrund der fünf N6+-Seillängen weniger oft begangen als die Vestpillaren Direct. Allerdings ist genau an diesem Tag bereits eine Seilschaft von zwei Finnen in der Tour als wir beim Einstieg ankommen. Die beiden jungen Männer quälen sich bereits in den ersten Seillängen. Wir geben ihnen also mehr als eine Stunde Vorsprung bevor wir in die Tour einsteigen.

Die Himmelen kan vente ist als anstrengend angegeben und N6+ ist an meinem Limit. Mit einem mulmigen Gefühl steige ich in die Tour ein. Bereits die zweite Seillänge ist eine N6+ mit einem Offwidth-Riss, in welchem Sigi keine Zwischensicherungen setzen kann, weil ihm das richtige Material fehlt. Sigi klettert die schwierigen Stellen besonders exakt und konzentriert, weil er weiß, dass er nicht fallen sollte/darf. Ich fange einfach an zu klettern. Schritt für Schritt, Griff für Griff. Ich komme gut voran, insbesondere die Risshandschuhe zahlen sich nun voll aus. Meter für Meter steigt meine Zuversicht und kann die Route richtig genießen. Leider holen wir in den letzten Seillängen die andere Seilschaft wieder ein und müssen erneut eine längere Pause einlegen. Es ist noch nicht einmal 17:00 Uhr, trotzdem fängt es an zu regnen. Zuerst ganz leicht, dann immer stärken.

Was sollen wir tun? Warten und hoffen, dass der Regen bald aufhört, oder versuchen möglichst schnell weiterzuklettern? Wir klettern so schnell wie möglich weiter. Der Granit wird immer rutschiger. Wir sind heilfroh, dass wir die Platte bereits hinter uns haben, weil diese nicht mehr kletterbar wäre. Die Risse sind möglich. Unsere Füße rutschen uns mehrmals einfach weg und wir verlieren immer wieder den Halt, aber wir können uns jedes Mal mit den Händen aus eigener Kraft halten. Sigi beweist mehr als nur ein bisschen Mut als er die letzten beiden N6+-Seillängen vorsteigt. Diese sind durch den nassen Granit viel schwerer, zudem teilweise überhängend und die Routenfindung wird weiter oben noch mal knifflig. Eine große lose Schuppe macht das Ganze nicht gerade einfacher. Sigi lässt diese aus Sicherheitsgründen gänzlich aus. Ich hoffe auf etwas Glück, hänge mich drauf und schwinge meine Beine von einer Seite auf die andere, weil ich mit den Füßen nicht mehr auf Reibung steigen kann. In diesem Moment bin ich froh über das Klimmzugtraining. Beinahe am Ende hört der Regen auf und der Granit trocknet relativ schnell auf, aber es bleibt rutschig. Sigi und ich steigen die Himmelen kan vente beide durch. Wir freuen uns total über diese Tour und sind stolz auf uns. Zwei N6+-Seillängen im Regen, das gibt zusätzliche Härtepunkte.

Da es aufgehört hat zu regnen, machen wir beim Abstieg einen kleinen Umweg über den Gipfel des Festvågtinden (541 m). Der Ausblick von diesem Gipfel auf die Gegend und den Ort Henningsvær ist umwerfend. Da zu diesem Gipfel ein Wanderweg hinauf führt, ist dieser bei Touristen sehr beliebt. Wir sehen dort ein paar junge Männer in Sneakers mit einer Bierdose in der Hand beim Abstieg. Einer führt sogar ein Video-Telefonat mit seiner Freundin, während er den steilen und inzwischen etwas rutschigen Wanderweg hinuntergeht. Ein Wunder, dass nicht öfter etwas passiert.

Erkenntnisse

  • Aus unseren bisherigen Erfahrungen und den Erzählungen von anderen Seilschaften schließen wir, dass wir inzwischen echt gut und schnell unterwegs sind.
  • Auch die schönste Tour wird einem durch Wolken, Wind und Regen etwas vermiest.
  • Manche Leute haben mehr Glück als Verstand.
Verfasst von Barbara